Interview: Leben im Quartier

Jürgen Tempelmann ist Investor und Visionär. Im Februar 2019 erwarb er von der RAG Montan Immobilien 25 Hektar des alten Bergwerks Ost, knapp die Hälfte des Zechengeländes, mit allen zugehörigen Gebäuden. Denn Tempelmann ist überzeugt: Das CreativRevier Heinrich Robert hat das Potenzial, noch größer und vitaler als sein Vorbild in Dorsten zu werden, das CreativQuartier Fürst Leopold. Ein Gespräch über Bauchgefühl, Herzentscheidungen und Machermentalität.

Wie weit sind Sie?

Die ersten Nutzer stehen in den Startlöchern. Wenn die Baugenehmigung vorliegt, sollten die ersten Mieter im Juni oder Juli einziehen können. Für 15.000 m2 liegen mir konkrete Anfragen von Interessenten vor, mit denen ich bereits Vorgespräche geführt habe. Insgesamt können wir in den ehemaligen Zechengebäuden gut 35.000 m2 vermieten, aber einige der Gebäude befinden sich noch in der Bergaufsicht. Dennoch planen wir für den Sommer schon Veranstaltungen auf dem Gelände.

 

Woher kommen die Interessenten?

Wir haben Anfragen aus allen Kreativbereichen wie Medien, IT, Kunst und Werbung, aber auch von Dienstleistern und Gastronomen. Zurzeit kommen die meisten noch aus Hamm, doch je länger das Projekt währt und je präsenter es in den Medien vertreten ist, desto mehr Interesse weckt es auch überregional. Das haben wir bereits in Dorsten erlebt. Die Leute aus Köln und Berlin wählen das CreativRevier, weil wir eine Bühne fürs Ruhrgebiet sind. Diese Kreativen wollen ganz klar in die Altbauten, Neubauten interessieren die nicht. Uns ist es dabei enorm wichtig, dass vor Ort eine Community entsteht, nicht zuletzt mit Synergien zwischen Gastronomie und Veranstaltungen. Wir brauchen Seminarräume ebenso wie die Gelegenheit, nachmittags mal ein Stück Kuchen zu essen. Das ist für viele Interessenten ein wichtiges Auswahlkriterium.

Wie wird es dort in zehn Jahren aussehen?

So weit brauchen wir gar nicht in die Zukunft zu schauen. In drei Jahren wird im CreativRevier schon richtig Leben sein. Und dann wird sich das Quartier verselbstständigen: Wir gehen davon aus, dass die Projektentwicklung in drei bis fünf Jahren abgeschlossen sein wird. Es wird natürlich weiterhin jemand vor Ort sein, der die Anfragen von Interessenten bearbeitet, doch das grobe Ganze soll bis dahin stehen. Nachdem die Kreativen eingezogen sind, kommen erfahrungsgemäß die Dienstleister – Rechtsanwälte und Steuerberater zum Beispiel –, die lieber in Neubauten ziehen möchten. Für uns perfekt, denn rund um das Herzstück mit den Altbauten werden auf den Freiflächen attraktive Neubauten entstehen. So sollen in zehn Jahren auf dem Gelände mehr als 1.000 Menschen arbeiten – und noch viel mehr wohnen: Im CreativRevier gibt es nämlich Geschosswohnungen, Einfamilienhäuser und Reihenhäuser. Wer hier arbeitet, wohnt oder zu Besuch ist, hat schließlich die Möglichkeit im CreativRevier einzukaufen und Essen zu gehen, aber auch Sport zu treiben und Veranstaltungen zu be- suchen. Dabei ist mir sehr wichtig, dass das CreativRevier klimaneutral betrieben wird.

Werden auch Sie Ihre Freizeit dort verbringen?

Aber ja! Ich richte die Altgebäude genauso her, dass ich persönlich dorthin gehen würde. Ich mache das, was ich selber liebe, und lasse auch eigene Ideen einfließen. Meiner Erfahrung nach wird das positiv angenommen, und andere Menschen begeistern sich für unsere Vision. Wir haben einiges vor, auf das ich mich jetzt schon freue: Da entsteht interessante Gastronomie, da entstehen Ausstellungs- und Veranstaltungsflächen, da wird Musik eine große Rolle spielen, mein persönliches Hobby, da wird es Literatur und Comedy geben. Draußen werden Filmfeste und Sommerfeste, ja, auch Bergfeste stattfinden – das ist, was ich mir unter einem vitalen Quartier vorstelle. Hier soll sich jeder wohlfühlen, am besten über alle Schichten hinweg.

Was hat Sie glauben gemacht, dass das in Hamm funktioniert?

Ich habe ja in Dorsten bereits ein CreativQuartier auf die Beine gestellt. Und als ich die alte Zeche Heinrich Robert gesehen habe, hatte ich augenblicklich eine Vision im Kopf, wie das Ganze aussehen könnte. Ich sah dort ideale Räumlichkeiten, um Künstler und Kreative anzusprechen, und war total begeistert. Es ist mehr ein Bauchgefühl, ein Herzgefühl, das man da hat. Und wenn man wie ich in einer solchen Szene zu Hause ist, auch weltweit, dann weiß man, ob das funktioniert. Da kann man keinen Gutachter bestellen. Das muss einem das Herz sagen – und das war in diesem Fall so. Und dann fängt man einfach an.

 

Wieso hat Hamm das Zeug dafür?

Wenn Dorsten mit 70.000 Einwohnern Potenzial für ein CreativQuartier hat, dann hat Hamm mit 180.000 Einwohnern das Potenzial für zwei CreativQuartiere. Auch hier verliert die verarbeitende Industrie zunehmend an Bedeutung. Dafür wird aber immer wichtiger, was in den Köpfen entsteht. Das kreative Erschaffen von geistigen Produkten und innovativen Verfahren ist eine große Chance, die ich für das Ruhrgebiet und auch Deutschland sehe, auch in Zukunft weltweit tätig und wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Da gibt es aber auch Skeptiker ...

Am Anfang hat man mich auch in Dorsten für ziemlich verrückt erklärt: „Das kann doch nicht funktionieren“, musste ich mir anhören. Davon lasse ich mich aber nicht abschrecken. Wenn man selbst daran glaubt, macht man einfach und versucht, die Vision konkret umzusetzen. In Dorsten ist uns das gelungen: Wir haben 70 Firmen angesiedelt, es sind 650 Arbeitsplätze entstanden und wir haben fast eine Million Besucher pro Jahr.

Warum sind Sie nach Hamm gezogen?

Zu der Zeit, als mich Herr Löckmann und Herr Herter für das Bergwerk begeistern konnten, wollte ich eigentlich noch nach Düsseldorf ziehen. Als dann alles so weit geregelt war, dass ich wusste, hier kann ich gemeinsam mit der Stadt noch einmal ein CreativRevier auf die Beine stellen, war für meine Freundin und mich klar, dass wir auch hier in der Gegend wohnen möchten. In Hamm haben wir uns ein Haus angeguckt und uns direkt in das denkmalgeschützte Gebäude verliebt. Da sind wir dann auch eingezogen und fühlen uns hier sehr wohl.

Interview für die Wirtschaft inform März 2020/01, Herausgeber: Wirtschaftsförderungsgesellschaft Hamm mbH.